Sie geben ein Korrektorat oder ein Lektorat in Auftrag – und erwarten völlige Fehlerfreiheit. Das ist verständlich: Immerhin zahlen Sie gutes Geld für die Überarbeitung Ihres Textes. Und wenn doch Fehler auftauchen, hat Ihr Lektor geschlampt.
So einfach ist das leider nicht. Ihrer Lektorin oder Ihrem Lektor wird jeder übersehene Fehler leidtun: Wir alle wollen unserem Anspruch an uns selbst gerecht werden und unsere Kunden glücklich machen. Aber Fehler können nun mal vorkommen – weil auch wir Lektoren nur Menschen und keine Präzisionsmaschinen sind. Nicht umsonst schreibt der Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL) in seinen Richtlinien fürs Lektorat:
„Freie Lektorinnen und Lektoren … machen weder in ihrer Werbung noch ihren Auftraggebern gegenüber unrichtige oder irreführende Angaben und unterlassen Werbeaussagen, die eine hundertprozentige Fehlerfreiheit in Texten versprechen.“
Absolute Fehlerfreiheit zu garantieren, ist also tabu. Aber was heißt das für Sie als Auftraggeberin oder Auftraggeber? Ich habe mir Gedanken zu Versprechen à la „100 Prozent Fehlerfreiheit“ und „Lektorat ohne Fehler“ gemacht. Und ich habe Tipps für Sie: für den Fall, dass Sie Ihr Korrektorat oder Ihr Lektorat als unprofessionelle Dienstleistung empfinden.
Garantiert fehlerfrei …?
Ich kenne einige Websites von Kolleginnen und Kollegen: Absolut fehlerfreie Texte versprechen sie alle nicht. Und ich habe mit einigen von ihnen – ebenso wie ich Mitglieder im Verband der Freien Lektorinnen und Lektoren – über mögliche Fehler gesprochen. Passiert ist uns das allen schon. Auch ich habe schon Fehler übersehen.
Aber spricht das für Nachlässigkeit und schlampige Arbeit? Ein nüchterner Blick auf Fakten rund ums Lektorat zeigt, warum „hundertprozentige Fehlerfreiheit“ ein leeres Versprechen ist. Dass man etwas übersieht, kann passieren: Menschen machen nun mal Fehler. Daher wird Ihnen kein Profi absolute Fehlerfreiheit versprechen.*
Das wäre schlicht und einfach unseriös. Seriöse Angebote fürs Korrektorat oder Lektorat erkennen Sie daran, dass Lektorinnen oder Korrektoren für gewissenhafte, sorgfältige Arbeitsprozesse einstehen.
* Bei mir finden Sie diese Hinweise in meinen FAQ, in meinen AGB (Punkt 3.7) und in jedem Angebot für Korrektorate oder Lektorate.
Absolute Fehlerfreiheit … Gründliche, gewissenhafte Lektorate
Klar – wer Ihren Text überarbeitet, ist eines der letzten Glieder in der Produktionskette. Und höchstwahrscheinlich drängt die Zeit. Aber verantwortungsvolle Lektorate oder Korrektorate brauchen genau dies: etwas Zeit.
Einen Text mit 25.000 oder 30.000 Wörtern (je nach Formatierung sind das 80 bis 100 Seiten) in ein paar Stunden überarbeiten? Das funktioniert nicht. Auf die Schnelle dazwischenschieben lassen sich bestenfalls kurze Texte. Das wirkt auf Sie als Auftraggeberin oder Auftraggeber zurück:
- Planen Sie immer ausreichend Zeit für Korrektorate oder Lektorate ein: je umfangreicher Ihr Text, desto mehr.
- Bei einem Lektorat sollten Rechtschreibkorrekturen in einem zweiten Arbeitsschritt erfolgen: weil es beim Lektorat um Sprache, Stil, Logik und Argumentation geht – und Tippfehler oder Grammatik-Baustellen in den meisten Fällen eine separate (wiederum zeitaufwendige) Korrektur brauchen.
- Ist Ihr Manuskript sehr fehlerlastig, steigt die Wahrscheinlichkeit, Fehler zu übersehen: Hier helfen nur mehrere Korrekturdurchgänge.
- Geben Sie zwei oder drei Korrektorate in Auftrag, können Sie die Fehlerquote in Ihrem Text reduzieren. Mehrere Durchgänge kosten ebenfalls Zeit – die Ihnen Ihr Lektor natürlich berechnen wird.
Für gründliche Korrektorate veranschlagt man durchschnittliche Fehlerquoten von zwei bis neun Prozent. Bei 5.000 Wörtern wären das 100 bis 450 Fehler. Acht oder neun Prozent möglicher Fehler zu übersehen, halte ich allerdings für sehr hoch angesetzt: Ich persönlich halte eine Fehlerquote von fünf Prozent oder weniger für realistisch.
Ein sachlicher Blick aufs Korrektorat und Lektorat
Dass Sie sich völlige Fehlerfreiheit wünschen, ist verständlich. Wenn falsche Präpositionen, falsche Konjunktive oder Kommafehler stehen bleiben, ist das ein klarer Mangel. Dennoch: Bringen Sie Verständnis für die Möglichkeiten und die Grenzen von Korrektoraten und Lektoraten mit. Meine Tipps für Sie:
Klare, konkrete Absprachen
Unseriöse Werbeversprechen wie „Lektorat hundertprozentig fehlerfrei“ oder „Garantie: keine Fehler“ tragen leider zu falschen Erwartungen bei. Eine möglichst offene Kommunikation und klare Absprachen zwischen Ihnen und Ihrem Lektor oder Ihrer Lektorin beugen Missverständnissen vor. Eine gute Zusammenarbeit entsteht, wenn Ihr Lektor
- Ihnen sagt, dass Sie keine absolute Fehlerfreiheit erwarten dürfen,
- im Falle von Fehlern eine weitere Überarbeitung anbietet oder das vereinbarte Honorar mindert,
- auf eine gegebenenfalls bestehende Berufshaftpflichtversicherung hinweist: Wenn Sie Ihren Flyer oder Ihren Katalog aufgrund übersehener Fehler neu drucken lassen müssen, übernehmen Versicherungen die entstehenden Kosten.
Aber auch Sie selbst können einiges für möglichst fehlerfreie Lektorate oder Korrektorate tun. Sie sollten
- Ihre Wünsche und Ansprüche präzise formulieren und
- alle Richtlinien weitergeben, die für Ihr Korrektorat oder ein Lektorat zu beachten sind.
Ihre Corporate Language
Was wäre Ihnen bei Ihrem Text wichtig? Vielleicht geht es Ihnen um schweizerdeutsche Rechtschreibung („ss“ statt „ß“). Oder Sie wünschen sich, dass Eigennamen und Eigenschreibweisen überprüft werden.
Vor allem aber Ihre Corporate Language spielt eine Rolle. Geben Sie alle Richtlinien durch, die für Ihre Unternehmenskommunikation gelten: beispielsweise,
- ob Angaben wie „Kilogramm“, „Gigabyte“ oder „zum Beispiel“ ausgeschrieben oder abgekürzt werden sollen,
- was für (möglicherweise vorhandene) Quellenbelege gilt,
- wie Ihre Richtlinien für das Datum, für Uhrzeiten oder für Kontaktangaben aussehen,
- ob Fachbegriffe oder Anglizismen vorkommen dürfen oder
- ob in Ihrem Text gegendert werden soll.
Professionelle Lektorinnen und Lektoren werden solche Details vor der Arbeit an Ihrem Text abfragen: Auch wenn Sie keinen firmeninternen Styleguide haben, sollten Sie sich vorab klarwerden, welche Kriterien für Sie und Ihr Unternehmen relevant sind.
Spielräume rund um Korrektorate, Lektorate und mögliche Fehler
Wenn Sie glauben, dass Ihre Lektorin oder Ihr Lektor Fehler übersehen hat, sollten Sie einige weitere Punkte bedenken:
- Letztlich gibt es in der Rechtschreibung immer wieder Variantenschreibungen. „2010er-Jahre“ und „2010er Jahre“, „allgemeingültig“ und „allgemein gültig“, „wenn’s beliebt“ und „wenns beliebt“: Alle diese Beispiele sind korrekt.
- Daher bestehen gewisse Spielräume: Wie damit umzugehen ist, besprechen Sie am besten vorab. (Ich persönlich weise meine Kunden in meinen Angeboten darauf hin, dass ich bei möglichen Variantenschreibungen die vom Duden favorisierten Varianten einfüge.)
- Es können neue Buchstabendreher oder neue Kommafehler entstehen, wenn Sie Korrekturen einarbeiten oder Formulierungsvorschläge Ihres Lektors oder Ihrer Lektorin übernehmen: Hier hilft nur ein zusätzliches Abschlusskorrektorat.
- Sicherlich wirkt nicht jeder Fehler gleich schwer. Fehler in Überschriften, in Slogans oder auf Werbeplakaten sollten tatsächlich nicht passieren. Einen Fehler im Fließtext Ihrer Firmenbroschüre halte ich dagegen für entschuldbar.
Und sonst?
Ein hundertprozentig korrekter Text ist natürlich möglich. Aber falls doch der eine oder andere Fehler in Ihrem Manuskript hängen bleibt: Fehler, die selbst professionellen Lektoren nicht auffallen, dürften auch Ihre Leserinnen und Leser nicht bemerken.
Denken Sie daher darüber nach, ob ein zu 97 oder 98 Prozent fehlerfreier Text in Ordnung ist. Oder ob Sie tatsächlich hundertprozentige Fehlerfreiheit anstreben – und die Mehrkosten für einen zweiten und dritten Korrekturdurchgang in Kauf nehmen.